Satire mit und ohne Sinn

Ist das Kunst oder kann das weg?

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Eines vorweg: Niemand hat es verdient zu sterben, weil er oder sie schlechte Kunst produziert hat. Satire darf alles, aber sie ist nicht immer hilfreich und Kritik sollten auch empfindsame und freiheitsliebende Narren und Närrinnen aushalten können. Umgekehrt langweilen mich moralisch aufgeladene Debatten darüber, wer was darf und wohin jemand treten darf. Ich frage nicht danach, was Satire darf, sondern wozu sie wertvoll ist und wann sie es verdient, in die eigenen Gedanken einzugehen. Ich komme zu dem Schluss, dass unter dem Begriff Satire sehr vieles läuft, das keinen nachhaltigen geistigen Wert für das Publikum hat. Die Gründe führe ich im Folgenden näher aus, damit ein infolektuelles Publikum selbst entscheiden und auswählen kann. Meine Empfehlung für einen infolektuellen Umgang mit Satire und Kabarett lautet zusammengefasst:

Konsumiere nur Satire zu Lebenswelten, die dir selbst vertraut sind.

Unvollständige Information

Satire ist ein Zerrspiegel und überzieht naturgemäß die Realität ins Groteske. Wer den Gegenstand aus der Realität zu schlecht kennt und regelmäßig Satire darüber konsumiert, wird nach und nach die eigenen Wissenslücken mit diesem Zerrbild füllen. Da kann man sich für noch so aufgeklärt und diszipliniert halten, alles bewusst wahrgenommene wird mit der Zeit auch im Geist ankommen. Das Wissen über den realen Gegenstand muss stark genug sein, sonst wird Satire mit der Zeit diese Lücken ausfüllen. Es ist mental weniger anstrengend, bestimmte Inhalte einfach nicht mehr zu konsumieren, statt sich hinterher auseinanderzusetzen, dass das ja alles nur Satire und nicht echt sei. Wenn man einfach Frust ablassen will oder nach Bestätigung und Zugehörigkeit sucht, kann man sich auch ein Hobby suchen oder Sport machen. Spott und Schadenfreude bringen nur kurzfristige Befriedigung und sind oft der falsche Weg, solche sozialen Bedürfnisse nachhaltig zu erfüllen.

Umgekehrt ist man eher geneigt, sich übereilt zu empören, wenn man Satire sowieso nur als politisches Instrument zur Positionierung betrachtet. Durch diese oberflächliche Handhabung werden nur einzelne Aussagen und Fragmente herausgegriffen und nicht das ganze Bild interpretiert. Sich z.B. über Motorrad fahrende Omas und instrumentalisierte Kinderchöre aufzuregen, ist populistisch und entlarvt eher die Inkompetenz derjenigen, die auf diesen Zug aufspringen. Im Hühnerstall motorrad zu fahren oder auch von der eigenen Wohnung 100 m bis zur Arbeit wäre an sich schon absurd genug. Aber das Gesamtwerk ist an sich schon eine einzige Absurdität durch die engelsgleichen reinen Kinderstimmen, die verstohlen über die Welt wachend die Sünden aller Omas registrieren. Damit wird auch die aktivistische Fixierung auf tugendhaftes Verhalten parodiert, eben die Gesamtsituation. Wer das nicht bemerkt, hat nicht das Ganze wahrgenommen, sondern nur Schnipsel aufgegriffen oder hat sich wiederum von Populismus instrumentalisieren lassen.

Selbstreflexion

Das meiste Wissen haben wir über uns und unsere direkte Umwelt. Das heißt, wir können den Zerrspiegel zuverlässig mit der Realität abgleichen und werden unsere Vorstellungen nicht versehentlich durch die Zerrbilder ersetzen. Hier kann Satire eine wertvolle Chance auf persönliche Weiterentwicklung bieten, indem sie uns herausfordert. Der Philosoph Philipp Hübl weist in einem Kommentar für den Deutschlandfunk darauf hin, dass Satire nicht nur die Mächtigen entlarven, sondern auch unsere eigenen Gewissheiten hinterfragen soll. Wenn unsere eigenen Lebenswelten durch Satire verzerrt werden, sind wir also herausgefordert, unsere Ansichten und Werte erneut zu validieren oder auch ggf. aufzugeben. Wir werden auf Absurditäten und Schwächen des Gegenstands hingewiesen und müssen uns überlegen, ob und warum wir uns trotzdem wieder bewusst für ihn entscheiden. Diese Prüfungen machen unsere Beziehung zu diesem Gegenstand im Grunde nur stärker, vergleichbar mit einem befristeten Ehevertrag, den man aktiv verlängern muss. Kann ich keine Kritik oder Schwächen an meinem Partner zulassen, bin ich empfindlich, schwach und unfrei. Stehe ich trotz seiner Schwächen zu ihm, bin ich stark und frei und kann bei Kritik gelassen bleiben. Das gilt auch für eigene Schwächen und Unvollkommenheiten, die sich durch regelmäßige satirische Übung besser akzeptieren lassen.

Unter Psychologen hört man ab und zu Sprüche wie „Intelligenz ist, was der Test misst“ oder „Wer misst, misst Mist“, ohne dass wir deswegen das Intelligenzkonstrukt oder das Messen psychischer Vorgänge aufgeben würden. Solche berufsspezifischen Aphorismen weisen auf Schwachstellen hin, die wir nicht ignorieren können und mit denen wir irgendwie umgehen müssen. Ephraim Kishon hat später in seinem Leben scharfe politische Satiren geschrieben und bezeichnet die Demokratie trotzdem als „geringstes Übel.“ Für einen sinnvollen Umgang können wir uns auf Satire konzentrieren, die uns zumindest genügend mit abbildet, sodass der Mechanismus der Selbstüberprüfung ausgelöst wird.

Satiriker sind i.d.R. keine allwissenden Lehrer mit vollem Durchblick, sondern Leute mit einer Ader fürs Absurde und Provokante. Sie ziehen keine Schlussfolgerungen, das ist Aufgabe des Publikums. Als korpulente Gesundheitspolitikerin kann ich z.B. die Sprüche von Dieter Nuhr geschmacklos finden und an mir abprallen lassen, wenn mir die symbolische Widersprüchlichkeit der Situation bewusst ist und ich bereits entschieden habe, dass dieser Widerspruch nicht ausschlaggebend ist. Vielleicht wäre es aber auch nicht verkehrt, wenn politische Kommunikation mehr Wert auf symbolische Glaubwürdigkeit und Konsistenz legen würde.

Verschenkte geistige Kapazität

Psychologisch gesehen lohnt es sich nicht langfristig, Satire aus Unzufriedenheit an gegebenen Umständen oder zur Frustbewältigung einzusetzen. Der unzufrieden machende Gegenstand verweilt dabei nur weiter in den Gedanken, lenkt uns ab und hält den Frust weiter am Leben. Dabei könnten wir das ganze Thema auch als irrelevant abhaken und die darauf bezogene Satire gleich dazu. Gerade wenn uns solche Medien selbst nicht provozieren, kann es schnell in Richtung Stimmungsmache kippen. Außerdem tun wir dabei nichts Konstruktives, sondern verharren in einer erlernten Hilflosigkeit, statt Selbstwirksamkeit zu entwickeln.

Wer tatsächlich sachliche Kritik anbringen will, sollte auch mit allen Konsequenzen dazu stehen und seine Punkte klar rüberbringen, statt sich hinter „war doch nur Spaß“ zu verstecken. Inzwischen ist es mir schon relativ egal, ob die polemisierende Person gerade über konservativ eingestellte Meeresbiologinnen herzieht oder Corona-Maßnahmen anprangert. In beiden Fällen kann ich die geäußerte Kritik zu einem gewissen Grad nachvollziehen, aber als Satire lohnen sich diese Peinlichkeiten nicht und machen das Leben nur schwerer. Allein das Konzept von investigativer Satire ist schon in sich widersprüchlich, weil Satire nicht abbildet, sondern verzerrt. Aus ähnlichen Gründen habe ich schon viel Satire mit politischen Bezügen aussortiert, selbst und gerade wenn ich die Positionen teile:

  • Homöopathie, Anthroposophie und die meisten Verschwörungstheorien halte ich für Schwachsinn. Ich brauche aber kein Unterhaltungsprogramm, das mich aufwertet, indem es die anderen lächerlich macht.
  • Mailab habe ich sehr gern geschaut, als ihr Fokus noch auf der Chemie und den Naturwissenschaften lag. Schon die Hinwendung zu den Sozialwissenschaften habe ich eher als unvorteilhaft wahrgenommen, ihr zweites Buch habe ich im Gegensatz zum ersten Buch als belanglos empfunden. Als die identitätspolitisch gefärbten Inhalte immer mehr zunahmen, hat es sich für mich vom Erkenntnisgewinn her überhaupt nicht mehr gelohnt, woraufhin ich den Kanal schweren Herzens deabonnierte. Kritische Gegenreaktionen auf den Kanal in Form von Satire sehe ich mir trotzdem nicht an, das würde mich nur wieder neu aufregen und an meiner Meinung nichts ändern.

Fazit

Generell kann ich Satire nur dann empfehlen, wenn man sich auch weiterhin mit ihrem Gegenstand näher auseinandersetzen will. Mir hat z.B. Shalom Auslander dabei geholfen, Kritik an meinem christlichen Glauben zunächst überhaupt zuzulassen und mich schließlich davon zu emanzipieren. In seinen grotesken Erzählungen verarbeitet er seine orthodox religiös geprägte Erziehung als eine Art Selbsttherapie. Hier ist auch wieder sehr wichtig zu betonen, dass der Satiriker selbst keine Alternative anbietet, sondern nur am Fundament rüttelt. Diese Rüttelmomente konnten Diskussionen mit Atheisten nicht herbeiführen, weder durch rationale Argumente, noch durch moralische Erpressung. Die meisten Atheisten haben erkenntnistheoretisch gesehen auch nicht so richtig gute Argumente auf Lager, das würde ich immer noch so sehen. Sie schießen sich zu sehr auf die Inhalte der Religion ein und versuchen sie zu widerlegen, statt einfach zu fragen, was überhaupt für sie spricht. Ich bin mr Auslander tatsächlich dankbar dafür, dass er es geschafft hat, an meinem Fundament zu rütteln. Was an die Stelle des Glaubens treten sollte und ob man sich überhaupt von seinem Glauben lossagt, muss jeder für sich herausfinden. Auf solche Fragen würde ich von Leuten wie Auslander definitiv keine qualifizierte Antwort erwarten. Satiriker sind keine Influencer.

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